Claudia war die Erste, die mich auf das Thema aufmerksam gemacht hat. Wir waren schon lange Freundinnen – da erfuhr ich erst, daß Sie eine große Schwester hatte, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Wie konnte das sein? Warum hatte sie mir das nicht früher erzählt? Dann – Jahre später – schrieb mir die Kollegin Birgit Rumpel, nachdem sie mich interviewt hatte – unsere Begegnung habe sie irgendwie an Ihre ältere Schwester erinnert. Die aber nicht mehr lebe. Und dann kam Jutta Limbach in eine WDR5-Redezeit über „Verantwortung“ und ich las die Vorbereitung zu diesem Thema, die auch Biographisches über die Ex-Bundesverfassungsrichterin enthielt. Es hatte einen Bruder gegeben, den sie schon zu Schulzeiten verloren hatte – er war ertrunken. Wir machten die Aufzeichnung für die „Redezeit“ und im Anschluß fragte ich Jutta Limbach, daß ich viel über Menschen, die tote Geschwister haben, nachdenken würde – und einen Radiobeitrag dazu plane. Ob sie mir vielleicht dazu etwas über ihren Bruder erzählen könne? Jutta Limbach sah mich an und sagte „Wissen Sie – Sie fragen mich das an einem besonderen Tag. Mein Bruder hätte heute Geburtstag.“ Tränen in den Augen. Eine außergewöhnlich erfolgreiche Juristin und Poltikerin war von einem auf den anderen Moment ein trauriges kleines Mädchen. Dieses Feature musste ich unbedingt machen. Und wie so oft – je mehr ich mit Freundinnen oder Bekannten darüber sprach, desto mehr Betroffene tauchten plötzlich auf. Manuela Hartling zum Beispiel. Sie fiel einer Freundin ein, die wusste, daß Manuela einen Bruder verloren hatte – und dieser Unfall sie bis heute beschäftige.
Bei den Ton-Aufnahmen mit den Betroffenen erlebe ich immer wieder dies: Große Bereitschaft, darüber zu sprechen – und gleichzeitig Angst, daß der mühsam eingekapselte Schmerz sie wieder überwältigt. Es geht jedesmal sehr schnell, daß die Stimme versagt, die Tränen fließen. Ich halte zum ersten Mal in meinem Reporterinnenleben weiterhin das Mikrifon hin, mache keine Pause, bis sie sich wieder fangen können – und wundere mich über mich selbst. Früher hätte ich getröstet, statt weiter aufzunehmen. Aber diesmal scheint das Sprechen für die Betroffenen eine lösende Wirkung zu haben – alles ist ganz dicht unter der Oberfläche, jedes Detail sofort ganz frisch wieder da. Nach diesen Erinnerungen muss keine Sekunde gesucht werden.
Radio-Feature „Der leere Platz an meiner Seite“
Und nun ist das Radio-Feature fertig. „Der leere Platz an meiner Seite“ hat mein Redakteur Thomas Hauschild das Stück genannt – mir gefällt der Titel sehr. Auch bei den Texten, die ich zwischen den O-Tönen gesprochen habe, war seine Hilfe wohltuend. „Distanz!“ hat er manchmal an den Rand geschrieben – wie früher der Deutschlehrer.
Sendung war am Dienstag, dem 20.11.1012
Ganz zufällig gehört nachts auf der Autobahn: ein sehr bewegender Beitrag-sehr wahr (aus eigener Erfahrung). Danke
bin alter S. Brandi Fan aus NRW Radio hören-Zeiten vor der Schule,m nach der Schule. dachte das wär ein Witz diese Ziegenseite, aber hier steht Gutes.
Ich habe zwei Freunde, die einen Bruder verloren haben und weiß, dass sitzt irgendwo und arbeitet..
Wie wichtig es für Blog-SchreiberInnen ist, ein Feedback zu bekommen, weiß ich nicht, aber einfach einen Kommentar zu schreiben, um einen abzugeben, finde ich auch nicht immer gut für die anderen. Außerdem habe ich Angst, dass sie manchmal anmaßend an sich sind, wenn man sie „kommentiert“ und damit bewertet oder schmälert, wenn man schreibt: Ach ich hatte auch mal.
In seltenen Fällen scheint es mir eine Bereicherung für die/den AutorIn.
Aber ohne zu wissen, ob eine geteilte Nachricht, Geschichte, ein Erlebnis eben geteilt wird.
Ich mag Ihre Schreib- und Sprechweise, Ihre Themen und bleibe „hängen“, wenn ich Sie/sie entdecke und nicht sogar geplant an/einschalte.
Herzlich
ilka M.