Alles gut?

Veröffentlicht am Autor sabinebrandi2 Kommentare

 

Schlange an der Kasse vom Allesmarkt. Keine Trennstäbe in der Rille, ich leg eine Plastiktüte an den Anfang und die Sachen dahinter. Der vor mir bereitet sich auf seinen Auftritt als Summenkontrollierer und Schnelleinpacker vor und checkt nochmal das Band. Ihm fällt auf, dass kein Trennstab zwischen Seinem und Meinem liegt. Er schiebt die Tüte ein bisschen weg von seinen Sachen und ich lächle beruhigend. Da erspäht er den offenbar einzigen Stab am Anfang der Rille und legt ihn vor meine Plastiktüte. „Alles gut!“ kräht er glücklich und grinst mich an.

Wann hat das eigentlich angefangen? Ich erinnere mich, daß meine Freundin Anke damit schon vor Jahren unterwegs war, mit diesem treuherzig, leicht besorgt aber im Prinzip zuversichtlich gefragten  „Alles gut?“  Sie muss `ne Goldader erwischt haben, denn inzwischen sagen es alle. Wenn am Ende meiner Sendung die Moderatorin der nächsten Sendung durch die Studiotür kommt, weiß ich, was sie gleich fragt: „Alles gut??“ Keine Ahnung, mir stehen die Poren sperrangelweit offen, das Adrenalin tobt durch den Leib und ich sollte mir zügig einen launigen Einstieg in das Teasing mit ihr einfallen lassen. Außerdem habe ich gierigen Hunger. „Alles gut!“ jubele ich und beschließe zum 100sten Mal, endlich mal an dieser Stelle zu schreien: „Nein!! Wie kann ALLES gut sein???! Das weiß doch jede Wurst, daß es gut UND böse gibt, und Trauriges mal sowieso und überhaupt: Was soll diese  Frage, wenn Du nicht reif für meine Antwort bist?! Die dauert nämlich LANGE!“

So – alles gut. Vielleicht ist es nichts anderes, als die verkürzte Version von „Alles wird gut.“ Das hat es ja von den Graffitti-Mauern bis in den Mund von Nina Ruge im ZDF geschafft. Aber dann werden wir dem Fragecharakter nicht gerecht.

Mit  dem Kind beim Kieferorthopäden. Doktor kommt rein und strahlt: „Na? Alles gut?“ und ohne die Antwort abzuwarten, „ich hab gehört, Du hast `n kleines Problem mit der Klammer?“ Unglaublich – er weiß schon, daß nicht alles gut ist und trötet es trotzdem raus.Es muss sich also um eine mächtige  Beschwörungsformel handeln: jetzt isses zwar noch NICHT alles – aber wenn ich Dir erstmal im Mund rumgeschraubt hab, dann ist alles gut.

So?

Oder wir haben es hier mit einer kleinen Testfrage der  Gewinner-Gesellschaft zu tun: Na? Bist Du ein Loser oder kannst Du den `ich-habe-mich-aus-eigener-Kraft-an-die-Sonnenseite-des-Lebens-katapultiert-Schlachtruf`  ausrufen?? Ob spirituell oder materiell – ALLES  GUT!

Oder haben wir Freizeit, Wellness und dichte europäische Grenzen schon so verinnerlicht, daß unser Unterbewusstsein tatsächlich glaubt, es müsse eigentlich für jeden hier immer und selbstverständlich „alles gut“ sein?

Früher fragten wir „wie geht`s?“ In meiner Heimat Ruhrgebiet wussten alle, daß niemand an der Antwort interessiert ist und drehten den Spieß um:  „Muss. Und selbst?“

Ich glaube, damit werde ich in Zukunft kontern, wenn wieder das gnadenlose „Alles gut?“ in meine Richtung abgeschossen wird: „MUSS!“

 

2 Kommentare zu Alles gut?

  1. ohhhhhhhhhhhh wie waaaahr. Vielleicht wird dann ja doch noch so viel wie möglich auch außerhalb meiner gut! Ich schöpfe Vertrauen. Und die Idee mit „Musss“ ohne Gegenfrage zu antworten ist so kurz wie genial! Danke

    Herzlich lieber Gruß am Europawahltag

    ilka Maas

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